Demenzdörfer sind spezielle Wohnanlagen, die für Menschen mit Demenz konzipiert wurden. Ihr Ziel ist es, den Betroffenen ein möglichst selbstbestimmtes und sicheres Leben zu ermöglichen, während gleichzeitig ihre speziellen Bedürfnisse berücksichtigt werden. Das Konzept basiert auf der Idee, eine Umgebung zu schaffen, die sich wie ein normales Dorf anfühlt, aber sicher und betreut ist.
Das Konzept von Demenzdörfern
- Sichere Umgebung: Das gesamte Gelände ist abgesichert, sodass Bewohner sich frei bewegen können, ohne sich zu verirren oder in gefährliche Situationen zu geraten.
- Alltagsnormalität: Die Bewohner leben in einer “normalen” Umgebung, die kleinen Städten oder Dörfern nachempfunden ist. Es gibt Häuser, Straßen, Geschäfte, Cafés und Grünanlagen. So können die Betroffenen vertraute Alltagsroutinen aufrechterhalten.
- Betreuung und Unterstützung: Pflegekräfte und Betreuer sind ständig vor Ort, treten jedoch oft in die Rolle von „Mitbewohnern“ oder „Nachbarn“, um den Alltag so normal wie möglich erscheinen zu lassen. Medizinische und pflegerische Hilfe ist jederzeit verfügbar.
- Personalisierte Betreuung: Jeder Bewohner kann seinen Tag selbst gestalten, je nach individuellen Fähigkeiten und Vorlieben. Dadurch wird Autonomie gefördert und das Wohlbefinden gesteigert.
- Soziale Interaktion und Aktivitäten: Die Bewohner können an sozialen Aktivitäten teilnehmen, sich mit anderen austauschen oder alltägliche Dinge wie Einkäufe erledigen. Dies fördert die geistige Anregung und das Gemeinschaftsgefühl.
Entwicklung von Demenzdörfern
Das erste und bekannteste Demenzdorf, "De Hogeweyk", wurde 2009 in den Niederlanden eröffnet. Seitdem hat sich das Modell weltweit verbreitet. Weitere Länder, wie Deutschland, Dänemark und die USA, haben ähnliche Konzepte umgesetzt, da das Modell als Alternative zur traditionellen Pflege in geschlossenen Einrichtungen betrachtet wird.
Vorteile von Demenzdörfern
- Erhöhte Lebensqualität: Durch die möglichst natürliche Umgebung fühlen sich Menschen mit Demenz weniger eingesperrt und gestresst. Es wird ein Gefühl von Freiheit und Selbstständigkeit gefördert.
- Weniger Unruhe und Verwirrung: Durch den vertrauten und zugänglichen Alltag erleben Bewohner oft weniger Orientierungslosigkeit und emotionale Belastungen. Dadurch konnte teilweise die Gabe von Psychopharmaka eingeschränkt werden.
- Förderung von sozialem Engagement: Die Bewohner haben mehr Möglichkeiten zur sozialen Interaktion, was Einsamkeit und Isolation reduzieren kann.
Trotz der vielen positiven Aspekte von Demenzdörfern gibt es auch einige Kritikpunkte, die von Fachleuten und Angehörigen geäußert werden. Zu den wichtigsten Kritikpunkten gehören:
1. Realitätsferne
Demenzdörfer simulieren eine “normale” Umgebung, die jedoch speziell für Menschen mit Demenz geschaffen wurde. Kritiker bemängeln, dass diese künstlich geschaffene Normalität eine Illusion ist und den Bewohnern eine falsche Realität vorgaukelt, statt ihnen die tatsächliche Außenwelt näherzubringen.
2. Isolation von der Gesellschaft
Obwohl Demenzdörfer eine sichere und betreute Umgebung bieten, kann es zu einer Isolierung der Bewohner von der restlichen Gesellschaft führen. Dadurch werden sie aus dem realen gesellschaftlichen Kontext ausgeschlossen, anstatt in die Gemeinschaft integriert zu bleiben. Dies reduziert auch die Akzeptanz von Demenz innerhalb der Gesellschaft.
3. Hohe Kosten
Demenzdörfer sind oft kostenintensiv in der Errichtung und im Betrieb. Diese Kosten können zu einer finanziellen Belastung für Familien werden, da die Pflege in solchen Einrichtungen teurer ist als in traditionellen Pflegeheimen. Dies macht das Konzept möglicherweise nur für Menschen mit ausreichenden finanziellen Mitteln zugänglich.
4. Ethische Fragen
Die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, eine "künstliche Realität" für Menschen mit Demenz zu schaffen, steht ebenfalls im Raum. Kritiker argumentieren, dass die Bewohner in einer simulierten Welt leben, was möglicherweise nicht den Prinzipien von Wahrheit und Autonomie entspricht.
5. Pflegequalität und Personalschlüssel
In einigen Fällen gibt es Bedenken, dass die hohe Zahl an Bewohnern im Vergleich zu den Pflegekräften zu einer Unterversorgung führen könnte. Trotz der offenen Umgebung besteht die Gefahr, dass nicht ausreichend qualifiziertes Personal vorhanden ist, um eine individuelle Betreuung zu gewährleisten.
6. Fehlende individuelle Betreuung
Ein weiteres Argument gegen Demenzdörfer ist, dass die strukturelle Ausgestaltung des Konzepts nicht immer auf die individuellen Bedürfnisse und Stadien der Demenz jeder Person eingehen kann. Menschen mit fortgeschrittener Demenz benötigen oft intensivere Betreuung, die in einer offeneren und weniger kontrollierten Umgebung schwieriger zu gewährleisten ist.
7. Sicherheit und Freiheit im Konflikt
Ein wesentlicher Vorteil der Demenzdörfer ist die Bewegungsfreiheit. Doch hier liegt auch ein Konflikt: Trotz der Illusion von Freiheit ist die Umgebung streng überwacht und abgesichert, was wiederum die Frage aufwirft, ob die Bewohner wirklich frei sind.
Inzwischen gibt es immer mehr Einrichtungen, deren Pflegekonzepte in die gleiche Richtung gehen, wie die der Demenzdörfer. Teilweise auch mit der Möglichkeit, als Angehöriger ebenfalls dort zu wohnen. Können sie sich so etwas für sich oder ihre Angehörigen vorstellen? Schreiben sie mir gerne Ihre Meinung an elsa.mathes@tantumsana.de
Hier haben wir Ihnen weitere Reportagen zum Thema Demenzdörfer zusammengestellt:
"Demenzdorf" Tönebön: Leben in einer eigenen Welt | NDR.de - Geschichte - Chronologie
Erfolgversprechendes Modellprojekt | ARTE Re: (youtube.com)
Im Demenzdorf: Der richtige Umgang mit Dementen? (youtube.com)
Zeitreise in die 50er Jahre: Ein besonderes Therapiezentrum für Demenzkranke (youtube.com)