Aktuelles

 

 

 

 

Wenn Worte nicht mehr reichen... Erfahrungsbericht einer überforderten Angehörigen

Manchmal reichen ein paar falsche Worte und eine Situation eskaliert. Lesen Sie in meinem persönlichen Erfahrungsbericht, wie es zu einer unschönen Situation zwischen mir und meiner Großmutter gekommen ist.
Elsa Mathes

Elsa Mathes ist examinierte Pflegefachkraft und war selbst pflegende Angehörige für ihre Großmutter.


“Das waren immer die runden weißen Pillen, das sind die Falschen”. Ich kam aus der Apotheke zurück und hatte die Tabletten für meine damals 90-jährige Großmutter dabei. Grundsätzlich noch sehr rüstig, aber Tablettensortieren fiel ihr damals schwer. Was lag also näher, als das Enkelkind die leidige Aufgabe übernehmen zu lassen – grade als Krankenpflegerin ein Kinderspiel.

Weit gefehlt... aus dem oben genannten Satz entspann sich eine 2-stündige Diskussion. Der Arzt hatte die Tabletten auf einen anderen Hersteller umgestellt. Die Tabletten waren nicht mehr weiß und rund, sondern länglich und gelb. Ich dachte zu dem Zeitpunkt noch, ich würde mit mir völlig logisch erscheinenden Argumenten weiterkommen, aber ausgerechnet an diesem Tag schaltete meine Oma auf stur und weigerte sich, die neuen Tabletten zu akzeptieren.

Aufgeopfert und trotzdem hilflos

Ich wurde immer genervter, weil ich vermeintlich auch mit einer Wand hätte reden können und als ich dann das Gefühl bekam, dass sie mich bewusst auflaufen lassen wollte und meine Kompetenz in Zweifel zog, wurde es mir zu viel. Ich richtete die Tabletten für die Woche fertig, sagte ihr, dass sie nur stur sei und dass sie die Tabletten ja nicht nehmen müsse, aber wenn sie dann wieder ins Krankenhaus käme, solle sie sich nicht beschweren.

Ich war damals so wütend und verletzt, dass ich mir trotz meiner professionellen Ausbildung nicht zu helfen wusste. Zwei Tage später, als ich wieder bei ihr war, musste ich dann feststellen, dass meine Oma alle Tabletten selbst neu sortiert hatte. Ein absoluter Alptraum, bei dem zum Glück nicht mehr passiert ist.

Mein persönliches Fazit:

Rückblickend weiß ich, dass mein Verhalten von damals schon als Gewalt gegen meine Großmutter zu werten ist. Ich schäme mich dafür, dass ich damals nicht professioneller und besonnener reagiert habe. In dieser Situation wusste ich mir aber einfach nicht mehr anders zu helfen und ich bin mir inzwischen sicher, dass mir das im professionellen Kontext nicht passiert wäre. Aber gerade, weil ich keine professionelle Distanz zu meiner Oma hatte, konnte ich nicht besser handeln. Bei aller Empathie und Zuneigung kam es trotzdem zu dieser unschönen Situation. Vermutlich hätte uns maja sana® die Diskussion erspart und rückblickend meine Nerven geschont, vielleicht ist mir daher meine Arbeit hier auch so eine Herzensangelegenheit.

Sie sind nicht allein

So wie mir damals, geht es Millionen von pflegenden Angehörigen täglich. Situationen wie oben beschrieben (oder heftiger) gehören zur Tagesordnung. Dass man auf Pflege angewiesen ist, verändert Menschen, mal ganz abgesehen von dementiellen Veränderungen, die oft noch eine zusätzliche Belastung darstellen. Überforderung und Hilflosigkeit kommen auf beiden Seiten vor. Sowohl Pflegebedürftige als auch pflegende Angehörige sind oftmals verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt. Gewaltprävention kann nur funktionieren, wenn wir es schaffen, uns selbst zu reflektieren und frei von Vorverurteilung und Schuldzuweisungen Hilfe bekommen.

Ich hoffe meine Geschichte konnte zeigen... niemand ist perfekt. Lassen Sie sich nicht entmutigen und holen Sie sich im Zweifel Hilfe.

Ihre Elsa Mathes